Rede zum Volkstrauertag 2019 des Ortsvorstehers Albert Jansen

Elten Gedenkfeier zum Volkstrauertag 2019
Rede des Ortsvorstehers Albert Jansen
Der Wert des „ Nie wieder“
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
heute ist ein sehr besonderer Tag, und wir alle haben uns  entschieden, uns an diesem Tag zusammenzufinden, um im Zuge des Volkstrauertages, der vor nunmehr 101 Jahren ins Leben gerufen worden ist, zum Anlass der zahlreichen Kriegsopfer des Ersten und wie wir heute wissen,  auch des Zweiten Weltkrieges, zu gedenken, zu trauern und zu erinnern. Wir können heute das Ende des Ersten Weltkrieges mit 101 Jahren Abstand betrachten.101 Jahre: Was für eine unvorstellbare Zeitspanne. Und doch wird kaum einem von uns der Begriff des Krieges ein fremder sein.Kriegerische Auseinandersetzung, Terror und Elend, das sind Umstände, die für einen Teil der Erdbevölkerung unter Alltag zu verstehen sind.

Krieg scheint in unseren Augen sinnlos zu sein, weil wir das Glück haben, zu verstehen wie wertvoll jedes einzelne Menschenleben ist, wie einmalig, wie unwiderruflich. Wie grausam der Tod Unschuldiger sein kann und als wie schrecklich sich der Überlebenskampf auf den Schlachtfeldern der Welt wirklich erweist, das durften die meisten von den hier Anwesenden durch alles Glück der Welt niemals erfahren.

Die Menschen, um die wir heute gedenken, konnten dieser Erfahrung nicht entfliehen.

Sind alle diese Menschen, derer wir heute gedenken umsonst gestorben?

Lassen Sie den Tod dieser Menschen nicht sinnlos werden.

Lassen Sie uns alle gemeinsam  zeigen, dass wir verstanden haben und dass wir erinnern.

„Nie wieder“

In den Niederlanden findet ein Tag vor dem Befreiungstag am 5. Mai der Volkstrauertag statt. Die Veranstaltungen finden ähnlich wie hier bei uns in Form einer Gedenkfeier statt. Vor einigen Jahren hatten die Organisatoren unsern stellvertretenden Bürgermeister Herbert Ulrich gebeten, die Gedenkansprache in der Kirche unseres Nachbarortes Lobith zu halten. Es war eine würdige Veranstaltung und Herr Ulrich fand die richtigen Worte. Er bat mich ihn zu begleiten. Während seiner  bedeutenden Ansprache kam mir der Gedanke, wäre das in der weiteren Vergangenheit möglich gewesen, dass ein Deutscher zu diesem Anlass in den Niederlande die Gedenkansprache hält. Ich glaube nein, aber für mich ist es beruhigend, dass es in der Gegenwart sehr wohl möglich ist.

In der Vorbereitung zu dieser heutigen Veranstaltung tauschte ich mich mit einem sehr interessierten „ niederländischen Eltener Bürger“ aus. In einem Gespräch und auch im Schriftverkehr. Ich bat ihn doch mal zu überlegen, ob er nicht auf unserer Feierstunde die Gedenkrede halten möchte. Mit seiner Erlaubnis gebe ich Ihnen nun auszugsweise seine Gedanken weiter.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich zu diesem Anlass passende Inhalte und Worte vermittle. Eher gilt denen die ihren Vater oder Großvater nie gekannt haben – und damit leben mussten – ein Wort des Trostes.  Sogar heute noch müssen die oft jungen Gefallenen an deutscher Seite in ihrem Grab z.B. versprengt auf der düsteren Heide bei Donsbrüggen dafür büßen, dass sie für eine falsche Ideologie von Verbrechen in den Krieg gehetzt wurden. Bestimmt haben viele ihre Vaterlandspflicht damals nicht aus Überzeugung und freiem Willen erfüllt. Sie werden wohl an der Front eher Angst als Hass gehabt haben.

Auffällig auch dass die Sieger immer noch als Feldherren von ihrem Hügel in Berg en Dal herab aufs Schlachtfeld blicken, wo sowohl die Deutschen als auch die Kanadier ihr Leben gaben, die einen für einen sinnlosen Krieg, den sie nur verlieren konnten und die anderen weit von der Heimat entfernt für einen wohl unvermeidbaren Krieg für unser aller Wohl. Auffällig auch im Kontrast die weißen Grabstehlen der Kanadier, die die Unschuld der Sieger zu vermitteln scheinen, in Reih und Glied, als wären sie darauf vorbereitet sich als Einheit aus dem Grab zu erheben, sollte die Pflicht wieder rufen.

Als die Emmericher Pioniere noch die Straßensammlung für die Kriegsgräberfürsorge veranstalteten, war es für mich als Sohn eines niederländischen nach Berlin verschleppten Zwangsarbeiters immer ein Dilemma, als sie bei mir anklingelten. Einerseits bin ich aufrichtig der Meinung, dass auch die deutschen Gefallenen selbstverständlich ein gepflegtes Grab verdienen. Die Kriegsgräberstätten sollen auch erhalten bleiben, damit man nicht vergisst, wozu ein Krieg führt.

Ein Dilemma: Muss ich mit bezahlen für die Grabpflege eines deutschen Soldaten, der Rotterdam zerbombt hat? Hat mein Vater je Rente bekommen für die Zwangsarbeit in Berlin? Waren die Flieger die Emmerich zerbombten Helden? Wirklich ein Dilemma.

Leider habe ich mich als Jugendlicher nie an einem vom Volksbund  Deutsche Kriegsgräberfürsorge veranstalteten Workcamp beteiligt. Wohl eine verpasste Chance. Es war bei uns in Den Haag nicht bekannt, dass es so etwas gab. Vielleicht gab es dazu damals auch gar keine Gelegenheit so kurz nach dem Kriege. Ich kann nur befürworten, dass derartige internationale Camps weiterhin durchgeführt werden. Man sollte sie stärker bewerben gegen das Vergessen. Gerade jetzt.

Gut, dass der Verschönerungsverein und die Schützen die Pflege des Gefallenendenkmals in Elten übernommen haben, hoffentlich zum Erhalt eines Mahnmals und nicht eines Kriegerdenkmals.“

„Nie wieder“

 Über den 30. Jahrestag des Mauerfalls ist ein anderer Erinnerungstag dieses Jahr etwas in den Hintergrund geraten: die Pogromnacht von 1938, aber das Gedenken an die Judenverfolgung fand ja trotzdem statt: Da wurden Reden gehalten, Stolpersteine poliert, man lud zu Andachten und Schweigemärschen, zu Lesungen und Ausstellungen ein. Das sind Zeichen des historischen Bewusstseins einer demokratischen Gesellschaft. Sie alle sind auf einen Nenner zu bringen. Wir wollen nicht vergessen, weil wir nicht vergessen dürfen, weil solches Unrecht nie wieder passieren darf.

Natürlich ersetzt das Gedenken nicht vernünftige Politik. Aber deshalb denen, die es „gut meinen“, ihr „Nie wieder“ verbieten? Doch wohl nicht. Zwar steht in Deutschland nicht der Faschismus  vor der  Tür, aber der politische Anstand, auch in Sachen Geschichte, selbst in Sachen Nationalsozialismus, steht unter Beschuss wie seit Jahrzehnten nicht. Jedes Gedenken ist ein Widerspruch gegen diese neuen Verächter der Opfer. Ihre Verachtung darf nicht unwidersprochen bleiben.

„ Nie wieder“