Interview : „Die Diskussion ist grenzwertig“

Leiharbeiter dürfen nicht länger ausgebeutet werden, sagt Matthias Reintjes. Er will eine Gesetzesänderung erreichen, damit Leiharbeiter bessere Unterkünfte bekommen und die Städte das besser kontrollieren können.

Die Infektionszahlen in den Leiharbeiter-Unterkünften im Kreis Kleve gehen zurück. Die Lage scheint unter Kontrolle zu sein. Doch die Krise hat gezeigt, welches Risiko und menschlichen Abgründe das System der Leiharbeit birgt. Dr. Matthias Reintjes und Silke Gorißen machen Vorschläge Richtung Düsseldorf, wie es jetzt weitergehen muss. Reintjes ist Bürgermeisterkandidat der CDU in Emmerich, Gorißen möchte für die CDU neue Landrätin werden. Was sagt der CDU-Bürgermeisterkandidat zur gemeinsamen Initiative mit Gorißen und zum Streit zwischen Landrat Spreen und den Bürgermeistern im Kreis?

Die Bundesregierung hat dem System der Leiharbeit in der Fleischindustrie den Kampf angesagt. Die Arbeitsbedingungen auf den Schlachthöfen in Deutschland sollen besser werden. Reicht das Ihrer Meinung nach aus?

Reintjes Es ist ein erster großer Schritt, den ich auch sehr begrüße, der aber leider der Grenzregion und Emmerich nicht hilft, da die Regeln natürlich auch für jene Leiharbeiter gelten müssen, die hier in Emmerich wohnen aber in den Niederlanden in den Schlachtbetrieben arbeiten. Auch möchte ich noch mal davor warnen in der Debatte scheinheilig zu argumentieren. Das Problem existierte Jahre vor der Coronakrise und wenn wir nicht grundsätzliche Änderungen vornehmen, wird es diese auch überdauern. Hier haben Silke Gorißen und ich die Landesministerin Ina Scharrenbach gebeten anzusetzen.

Bedeutet das, wenn die Coronakrise überwunden ist, ein großes Problem aber bleibt: Leiharbeiter, die in den Niederlanden in den Schlachthöfen ausgebeutet werden und in Emmerich und anderen grenznahen Städten im Kreis Kleve unter unwürdigen Bedingungen leben?

Reintjes Ja, wenn es keine grundsätzlichen Gesetzesänderungen der Bundes- und Landesregierung gibt, wird es meiner Einschätzung nach so bleiben wie bisher. Das Verbot von Werkverträgen in Deutschland betrifft die in den Niederlanden aktiven Unternehmen ja nicht.

Die CDU im Kreis Kleve und besonders in Emmerich fordert daher seit Jahren, dass an den Standards der Unterbringung angesetzt werden sollte und zwar ganz gleich, wo die Arbeiter eingesetzt werden. Die Bundesregierung will jetzt prüfen, wie Unternehmen auf bestimmte Mindeststandards in den Unterkünften verpflichtet werden können und wie die Meldepflicht von ausländischen Arbeitskräfte gegenüber den Behörden verbessert werden kann. Auch Ministerin Ina Scharrenbach ist bereits im letzten Jahr hier aktiv geworden und hat eine Prüfung in diese Richtung in Auftrag gegeben.

All das ist aber erst dann gut, wenn die besagte Prüfung schnell zu einem Ergebnis kommt und die Kommunen auch mit Kontroll- und Sanktionsmechanismen ausgestattet werden.

Es gibt Leute, die sagen, dass die Städte schon längst etwas gegen die Bedingungen in den Leiharbeiter-Unterkünften hätten tun können.

Reintjes Das ist Quatsch. Den Kommunen fehlt hier das rechtliche Instrumentarium zum wirklich konsequenten Durchgreifen.

Was muss der Gesetzgeber jetzt genau tun, damit sich die Lage verbessert?

Reintjes Silke Gorissen und ich haben gefordert, dass eine entsprechende Änderung des Wohnungsaufsichtsgesetzes NRW diskutiert werden sollte und das Arbeitsstättenrecht, welches Anforderungen an Unterkünfte stellt, um Mindeststandards der Unterbringung erweitert und auch für zeitweise in Nordrhein-Westfalen ansässige und in den Niederlanden in der Fleischindustrie arbeitende Arbeitnehmer anzuwenden ist.

Alle haben seit Jahren gewusst, dass das System der Leiharbeit Ungerechtigkeit hervorbringt. Landwirte beklagen sich über Ausbeutung und unfaire Preise. Muss die Politik darüber nachdenken, ob die Lebensmittelbranche auf Dauer so weitermachen kann? Ist der Preis für niedrige Preise im Supermarkt für die Gesamtgesellschaft zu hoch?

Reintjes Bitte Stück für Stück. In der Landwirtschaft sieht es zumeist ordentlicher, respektvoller und besser bezahlt aus. Das sollte man nicht alles in einen Topf werfen.

Die beklagenswerte Unterbringung von Leiharbeitern ist in erster Linie ein Problem der Fleischindustrie und der Strukturen im Hintergrund. Das System in der Fleischindustrie fußt auf einem Lohn, von dem dann noch auf kreative Art allerhand von Abzügen abgerechnet werden. Das ist pervers und gehört meiner Meinung nach verboten!

Die Niederlande haben es vorgemacht. Und ganz ehrlich, wer diesen Knochenjob macht, der sollte angemessen bezahlt, untergebracht und behandelt werden. Wenn das dann dazu führt, dass die Preise im Supermarkt steigen, dann halte ich das für angemessen.

Emmerichs Bürgermeister Peters Hinze (SPD) und der Reeser Bürgermeister Christoph Gerwers (CDU) werfen dem Landrat Wolfgang Spreen (ebenfalls CDU) eine unzureichende Kommunikation in der Krise und schlechten Stil vor. Der Landrat kontert. In Wahlkampfzeiten eine ungewöhnliche Konstellation. Was ist das los?

Reintjes Was ich von vielen Bürgerinnen und Bürgern höre ist, dass man nach Wochen des Streits kein Verständnis mehr dafür hat und keine italienischen Verhältnisse im Kreis Kleve will. Die Bürger spüren, dass hier der Wahlkampf im vollen Gange ist und alte Rechnungen beglichen werden. Man erwartet aber stattdessen eine dauerhafte Lösung des Problems.

Wissen Sie, die gesamte Diskussion in dieser besonderen Tragweite zwischen gewählten Amtsträgern empfinde ich als grenzwertig. Das schadet am Ende nicht nur den handelnden Personen, sondern auch den Ämtern und Institutionen. Mein Stil ist das nicht! Deshalb werde ich mich auch zu dem Streit nicht weiter äußern.